Simon Schlebusch hat im Rahmen seiner Masterarbeit einen bioökonomischen Ansatz angeschaut, um die wirtschaftlichen Gewichte einzelner Merkmale im Zuchtziel von Brown Swiss und Holstein zu berechnen.
Hintergrund
Die Frage nach dem optimalen Zuchtziel bei Milchkühen ist so alt wie die Zucht selbst. Früher (vor 1970) war die Auswahl der Zuchttiere vor allem durch die äussere Erscheinung der Tiere bestimmt. Dies änderte sich mit der zunehmenden Arbeitsteilung, der damit verbundenen Spezialisierung der Betriebe und der gesteigerten wirtschaftlichen Bedeutung von Produktionsmerkmalen, wie Milchleistung, Fettgehalt und Eiweissgehalt. Als Konsequenz davon wurde diesen Merkmalen eine dominante Rolle im Zuchtziel zugeordnet.
Aufgrund dieser Entwicklung wurden in der Statistik wissenschaftlich fundierte Methoden wie das BLUP-Tiermodell zur Schätzung von Zuchtwerten entwickelt. Die Verfügbarkeit von billigen Rechenkapazitäten ermöglichte die Einführung dieser Methoden in den Zuchtorganisationen. Diese technische Entwicklung zusammen mit der Einführung von Fortpflanzungstechnologien führten zu einer starken Leistungssteigerung in der Milchproduktion.
BLUP-Tiermodell
BLUP steht für Best Linear Unbiased Prediction und bezeichnet eine Klasse von statistischen Schätzmethoden mit definierten Eigenschaften. Diese Methode wird für die Schätzung von unbekannten Grössen, wie zum Beispiel von Zuchtwerten verwendet.
Zuchtziele und der Gesamtzuchtwert
Die Liberalisierung des Milchmarktes, also die Aufhebung der Preisgarantien und der Milchkontigentierung, hatte einen regelrechten Einbruch des Milchpreises zur Folge. Für die Zucht bedeutete das, dass auch andere Merkmale, wie Nutzungsdauer, Zellzahlen, Fruchtbarkeit und verschiedene Gesundheitsmerkmale eine grössere wirtschaftliche Bedeutung erhielten.
Mit der Erweiterung des Zuchtziels um weitere Merkmale stellte sich die Frage, wie diese Eigenschaften in der Auswahl der Zuchttiere berücksichtig werden können. Die Antwort auf diese Frage bot der Gesamtzuchtwert. Idealerweise erfolgen Selektionsentscheide aufgrund eines Kriteriums, welches es erlaubt eine eindeutige Rangierung der Selektionskandidaten vorzunehmen.
Das optimale Kriterium für die Selektion von Nutztieren nach mehreren Merkmalen ist der Gesamtzuchtwert, da dieser der mathematischen Formulierung des Zuchtziels entspricht und als gewichteter Mittelwert der Zuchtwerte berechnet wird. Dabei werden die wirtschaftlichen Gewichte als Gewichtungsfaktoren eingesetzt. Das wirtschaftliche Gewicht eines Merkmals entspricht der Änderung des Gewinns einer Produktionsherde bei einer marginalen Änderung des Populationsmittelwertes des entsprechenden Merkmals.
Eine alternative Möglichkeit einer Gewichtung von Merkmalen in einem Gesamtzuchtwert besteht darin, dass die erwünschten Selektionserfolge der einzelnen Merkmale vorgegeben werden und die Gewichtungsfaktoren der einzelnen Merkmale aufgrund dieser Vorgaben bestimmt werden. Diese Method der Bestimmung der Gewichtungsfaktoren wird als ‘Desired Gains’ bezeichnet.
Diese Methode ist sehr flexibel und das Zuchtziel kann einfach auf allfällige Wünsche von Züchtern angepasst werden. Dabei gilt es aber zu beachten, dass die so hergeleiteten Gewichtungsfaktoren den ökonomischen Kontext der einzelnen Betriebe nicht berücksichtigen. In einer Zeit der sinkenden Erträge nimmt der Druck auf die wirtschaftliche Optimierung der Produktion zu, da sonst keine Gewinne mehr erzielt werden können und somit die Existenz der Betriebe in Frage gestellt wird.
Bioökonomisches Modell
Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Zusammenhänge zeigt die Wichtigkeit von wirtschaftlichen Gewichten. Diese können mit Hilfe eines bioökonomischen Models berechnet werden. Dazu wird ein Herdenmodell erstellt in welchem Herdengrösse, Milchleistung, Fruchtbarkeit, etc. festgelegt werden. Die untenstehende Grafik zeigt die verschiedenen Einflüsse im Herdenmodell.
Die im Modell verwendete Herdenstruktur orientierte sich an folgenden Parametern:
- Herdengrösse festgelegt auf 50 Kühe mit definierten Werten an mittlerer Milchmenge
- Eiweiss-und Fettgehalt
- Zellzahlen.
Der modellierte Produktionsbetrieb verzichtete auf eine eigene Remontierung der gemerzten Kühe. Alle Abgänge wurden durch zugekaufte trächtige Rinder ersetzt. Dem folgend wurden alle Kühe mit SILIAN besamt und die Kälber dann als Tränker nach vier Wochen in die Mast verkauft.
Im zweiten Teil des bioökonomischen Modells wird die Gewinngleichung festgelegt. Dabei wird der Gewinn oder Verlust der modellierten Produktionsherde berechnet. Das Einkommen setzt sich aus Milchgeld, dem Verkauf von gemerzten Kühen, dem Verkauf von Tränkern und den Direktzahlungen zusammen.
Dem gegenüber stehen die Ausgaben, welche sich auf Futterkosten, den Rinderkauf, die Besamungskosten sowie die Fix- und Tierarztkosten verteilen. Das Milchgeld setzt sich aus den Grundzahlungen und den Gehaltszahlungen für Protein und Fett, sowie den Bonuszahlungen für Zellzahlen ausgedrückt durch den Somatic Cell Score (SCS) zusammen.
Der im Modell erzielte Gewinn ist jedoch für die Berechnung der wirtschaftlichen Gewichte nur bedingt interessant, denn die wirtschaftlichen Gewichte entsprechen der Gewinnänderung verursacht durch eine Änderung des Inputs. Dabei wird der Input nur geringfügig verändert, sodass alle Annahmen im Modell immer noch gelten.
Fallbeispiel bei der Rasse Braunvieh
Die folgende Tabelle zeigt dies in Zahlen ausgedrückt für das Merkmale Milchmenge bei der Rasse Braunvieh, aber das Konzept kann auch für andere Merkmale und andere Rassen angewendet werden.
Merkmal | Gewinn in der Basisversion |
Gewinn nach der Änderung |
Differenz |
Milchmenge in kg | 366400 | 366900 | 500 |
Profit in Fr. | -23872.49 | -23822.43 | 50.06 |
Das wirtschaftliche Gewicht ist die Division der Differenz des Gewinns durch die Differenz der Milchmenge oder 50.06/500 = 0.1001 Fr./kg Milch.
Aus der Multiplikation des wirtschaftlichen Gewichtes und der genetischen Standardabweichung, welche bei Braunvieh für das Merkmal Milch 564.78 kg/ beträgt, resultiert also 0.1001* 564.78 = 56.55 Fr./genetischer Standardabweichung als wirtschaftliches Gewicht.
Die Ergebnisse des wirtschaftlichen Gewichtes pro genetische Standardabweichung für die Rasse Braunvieh sind in der nächsten Tabelle dargestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Merkmal Nutzungsdauer das höchste wirtschaftliche Gewicht pro genetische Standardabweichung hat.
Merkmal | Fr./genetische Strandardabweichung |
Milchmenge | 56.55 |
Protein | 101.30 |
Fett | 88.723 |
NRR | 467.61 |
Nutzungsdauer | 992.73 |
SCS | 724.39 |
Das wirtschaftlich relevanteste Merkmal aus der Merkmalsgruppe der Milchleistung ist der Eiweissgehalt, noch vor dem Fettgehalt und der Milchmenge. Die funktionalen Merkmale mit der Fruchtbarkeit, die durch die Non Return Rate (NRR) ausgedrückt wird und dem Somatic Cell Score sind wirtschaftlich sehr relevant.
Die Grafik zeigt, dass die wirtschaftlichen Gewichte die Gewichtungsfaktoren der Zuchtwerte der einzelnen Merkmale im Gesamtzuchtwert bestimmen.
Dabei zeigt sich, dass die funktionalen Merkmale 90 % des Index ausmachen und der Milchkomplex rund 10 %. Zudem zeigt sich die Wichtigkeit des Merkmals Nutzungsdauer in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit in der Zucht. Ebenfalls wichtig sind SCS mit 30 % und Fruchtbarkeit 20 % Anteil am Gesamtzuchtwert.
Die hier gezeigten Resultate verdeutlichen, dass die Einbettung der Zucht und des Gesamtzuchtwertes in einen wirtschaftlichen Kontext sowohl für den Einzelbetrieb als auch für die gesamte Rasse sehr wichtig sind, um auch in Zukunft attraktiv und ökonomisch solide dazustehen. Die Umsetzung der hier entwickelten Grundlagen in die praktische Zuchtarbeit ist also sehr wichtig.
Milchmenge: 2 %
Protein: 4 %
Fett: 4%
NRR: 19 %
Nutzungsdauer: 41%
SCS: 30 %
Masterarbeit bei der Qualitas AG
Die Masterarbeit entstand in Zusammenarbeit von Simon Schlebusch und der Qualitas. Während seines Praktikums erhielt der Masterabsolvent einen Einblick in die Milchviehzucht in der Schweiz und wurde direkte durch Peter von Rohr bei der Qualitas betreut.
Dem Thema der Wirtschaftlichkeit in der Tierzucht wird sich Simon auch weiter widmen. Diesmal mit einer Dissertation mit dem Ziel den wirtschaftlichen Wert einer Kuh innerhalb der Herde zu berechnen und damit Merzungsentscheide auf Betriebsebene ökonomisch transparent zu gestalten.
Bei der Qualitas bieten wir immer wieder Themen für Masterarbeiten und Praktikumsplätze in der Zuchtwertschätzung an. Wenn du interessiert bist, dann nimm mit uns Kontakt auf und lies dir durch, wie ein Praktikum bei der Qualitas aussieht.