WCGALP – Entwicklung neuer Merkmale

Die Entwicklung neuer Merkmale passiert vor allem in den Bereichen Funktionalität und Umweltwirkung unserer Nutztiere. Die wichtigsten Stichworte dazu sind Gesundheit, Fruchtbarkeit, Futtereffizienz und Methan(CH4)-Ausstoss. Dazu werden nachfolgend ein paar ausgewählte Beiträge genauer erläutert.

Gesundheit

Typische Kälberkrankheiten, wie Atemwegserkrankungen und Durchfall, können oft nur mit Antibiotika bekämpft werden. Um präventiv über tierzüchterische Massnahmen vorsorgen zu können, wurden die genetischen Hintergründe dieser Kälberkrankheiten in knapp 1’900 Holstein-Herden in Kanada untersucht. Erste Resultate zeigen; die Heritabilitäten sind tief: 0.01 – 0.04. Literaturwerte liegen eher höher. Die Aufzeichnungsprotokolle müssen jedoch genauer und die Disziplin beim Aufzeichnen muss grösser sein. Wenn die Phänotypisierung verbessert und für die untersuchten Merkmale eine genomische Selektion implementiert werden kann, bestehen gute Chancen, dass klassische Kälberkrankheiten auch züchterisch bekämpft werden können.

Wie eine französische Untersuchung bei Holstein Kühen zeigt, haben wirtschaftlich bedeutende Krankheiten wie Labmagenverlagerung, Milchfieber, Gebärmutterentzündungen und Nachgeburtsverhalten, wie zu erwarten war, sehr tiefe Heritabilitäten. Aus der Studie resultiert aber, dass in der französischen Holsteinpopulation, mit Ausnahme von Milchfieber, positive genetische Trends zu beobachten sind. Wie diese Untersuchung zeigt, ist die Aufzeichnung der Gesundheitsdaten, also die Phänotypenerhebung, die Basis für eine erfolgreiche Zuchtarbeit. Zusätzlich wird ersichtlich, dass die genomische Selektion, in Form einer Single-Step-ZWS, erhebliche Fortschritte bringen kann.

Stellvertretend für weitere Vorträge zeigen die oben erwähnten Untersuchungen: für eine gute Phänotypisierung – gerade bei Merkmalen mit tiefen Heritabilitäten – ist es essenziell, möglichst viele Daten über einen langen Zeitraum zu sammeln und eine integrale Erfassung in der ganzen Herde zu etablieren. In Kombination mit einer Single-Step-ZWS kann ein erfolgreiches Zuchtprogramm realisiert werden.

Wie an der Konferenz deutlich wurde, hat die Bearbeitung von funktionellen Merkmalen, insbesondere Gesundheitsmerkmalen, bei allen Nutztieren einen grossen Stellenwert und in vielen Nutztierpopulationen werden positive genetische Trends erzielt. Dies beruht auf der Tatsache, dass die Funktionalität der Nutztiere in der Zucht in den letzten Jahren viel stärker gewichtet wurde, als die reinen Produktionsleistungen.

Abb. : Kälber sind sehr anfällig für Atemwegs- und Durchfallerkrankungen. (Bildquelle: Braunvieh Schweiz)

Futtereffizienz

Abb. : 3D Kameras über dem Futtertisch, um die tierindividuelle Futteraufnahme zu erfassen. (Bildquelle: Viking Genetics)

Bei Monogastrier wird das Merkmal Futtereffizienz schon lange züchterisch bearbeitet.

Um vorhandene Ressourcen optimal nutzen zu können und um Futterkosten zu senken, hat dieses Merkmal im Rindviehbereich in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Weltweit ist auch der politische Druck grösser geworden, dieses Merkmal in Zuchtprogrammen zu bearbeiten. Am Genetikweltkongress befassten sich vor allem zwei Themenkreise mit der Futtereffizienz: tierindividuelle Erfassung (Phänotypisierung) und genetische Hintergründe dieses Merkmals.

Der Goldstandard für die Messung der tierindividuellen Futteraufnahme ist der sogenannte Wiegetrog. Diese Einrichtung ist sehr teuer und arbeitsintensiv. Darum wird an Alternativen geforscht. Ein Vertreter von Viking Genetics aus Dänemark stellte einen neuen Ansatz vor. Bei diesem werden mit 3D-Kameras die Futteraufnahme am Futtertisch, das Tiergewicht und die Tieridentifikation erfasst. Die Validierungsresultate bei der Futteraufnahme sind vielversprechend (r2=0.90), ebenso die Schätzungen für das Körpergewicht. Ergänzend liefert das System Administrationswerkzeuge für die Züchter.

Um kostentreibende Einrichtungen zu vermeiden, wird ebenfalls intensiv an Hilfsmerkmalen (Proxies) geforscht. Forscher aus Norwegen versuchten über MIR-Spektraldaten der Milchproben und über Leistungsdaten der einzelnen Kühe mit «Deep-Learning» Methoden die tägliche Raufutteraufnahme zu schätzen. Die ersten Resultate sind positiv, die Methoden müssen allerdings an grösseren Datensätzen verfeinert und validiert werden. Ähnliches fanden auch Forscher aus Mexiko und den USA heraus; zusätzlich unterstrichen sie, dass es wichtig ist, die richtigen Wellenbereiche der Spektraldaten für die Vorhersagen auszuwählen.

Sämtliche Beiträge, die sich mit den genetischen Verankerungen der Futtereffizienz befassten, zeigten in eine sehr ähnliche Richtung: Dieses Merkmal ist erblich und kann züchterisch bearbeitet werden. Die Heritabilitäten liegen meistens in einem mittleren Bereich (z.B. Lidauer, M.H. et al. 2022 oder Navajas, E.A, et al. 2022).

Im Zusammenhang mit genetischen Evaluationen für die Futtereffizienz werden schnell Fragen bezüglich der genetischen Korrelationen zu anderen Merkmalen aufgeworfen.

Methanausstoss bei Wiederkäuern

Es laufen auf verschiedensten Ebenen Bemühungen die CH4-Emissionen durch die Nutztiere zu senken. Viele Untersuchungen wurden beispielsweise im Bereich Fütterung durchgeführt, doch auch im züchterischen Bereich gibt es Möglichkeiten. Auch hier gilt: Für aktive Zuchtarbeit sind Phänotypen notwendig und die Erhebung dieser Phänotypen auf Einzeltierebene ist schwierig. Forschungsgruppen von der Universität Wageningen haben sogenannte Sniffer entwickelt, die im Melkroboter angebracht werden und den Gasausstoss für jede Kuh messen können. Die Heritabilität für das Merkmal CH4 Ausstoss liegt im mittleren Bereich und die genetische Korrelation zu Messungen mit sogenanntem GreenFeed liegt bei knapp 0.8. GreenFeed ist eine andere Messmethode, bei welcher der CH4-Ausstoss des Rindes in einer kraftfutterstationsähnlichen Box gemessen wird. Ein Beitrag aus Norwegen, CH4-Emissionen gemessen mit GreenFeed in kommerziellen Herden, zeigt ähnliche Heritabilitäten.

Die genetischen Korrelationen zwischen Futtereffizienz und Methanausstoss sind von grossem Interesse.  Beide Merkmale sind umweltrelevant. So besteht die Hoffnung, dass die Verknüpfungen in eine positive Richtung zeigen: bessere Futtereffizienz resultiert in geringerem Methanausstoss. Momentan zeigt sich noch kein einheitliches Bild. Ein australisches Forscherteam zeigte antagonistische Beziehungen auf, andere fanden leicht positive Beziehungen. Viele weitere Beiträge befassten sich mit diesem Spannungsfeld.

Generell kann gesagt werden, dass der Methanausstoss auf Stufe Zucht bei den Wiederkäuern gesenkt werden kann. Hierfür sind jedoch grosse Datensätze (Phänotypen) notwendig, welche meistens nur über internationale Kooperationen erzielt werden können. Zusätzlich müssen die Beziehungen zu anderen Merkmalen noch genauer untersucht werden und die Gewichtung dieses Merkmals in einer Selektionsstrategie, bzw. in einem Index, bedarf genauer Abklärungen.

Abb. : Möglichkeiten, um den Methanausstoss von Einzeltieren zu messen (Bildquelle: Wageningen University & Research, A.E. Van Breukelen)

Hitzetoleranz

Im Zuge des Klimawandels werden immer mehr Forschungsarbeiten zum genetischen Hintergrund der Hitzetoleranz durchgeführt. Nicht nur beim Schwein und Geflügel, sondern auch bei Milchrindern zeigt es sich, dass eine Selektion auf Hitzetoleranz möglich ist. Abhängig von der Luftfeuchtigkeit leidet eine Milchkuh ab 20-25°C unter der Hitze: Erhöhte Herz- und Atemfrequenz, geringere Futteraufnahme, geringere Leistungen und verminderte Fruchtbarkeit sind die Folgen davon. In der italienischen Holsteinpopulation konnten Heritabilitäten für Hitzetoleranz von 0.16 geschätzt werden. Ab diesem Jahr werden dafür Zuchtwerte publiziert. Ähnliche Arbeiten wurden aus den USA präsentiert. Diese Untersuchungen wurden an der Holstein- und Jersey-Population gemacht. Eine genomische Selektion ist in der Entwicklungsphase, Zuchtwerte werden noch keine veröffentlicht.

Weiter wurden Ansätze gezeigt, wie die Hitzetoleranz über Immunreaktionen phänotypisiert werden kann oder dass Hitzestress während der Trächtigkeit bei Milchkühen negative Auswirkungen auf die Gesundheit des geborenen Kalbes hat und Rinder genetisch unterschiedlich reagieren. Diese Forschungsarbeiten gehen in den Bereich der Epigenetik.

Fazit

Die Vielfalt des ganzen Kongresses konnte mit den obigen Ausführungen nur teilweise erfasst werden. Bei weiterführendem Interesse lohnt es sich, das Programm genau zu studieren und die hinterlegten Artikel zu lesen.