Unter dem Motto «Nachhaltige Lösungen in der Nutztierhaltung» trafen sich vom 30.8 bis 3.9 in Davos über 850 Tierwissenschaftler aus 49 Ländern zur 72. Jahrestagung der Europäischen Vereinigung für Tierwissenschaften (EVT). Weitere 400 Personen verfolgten die Konferenz virtuell.
Bild (OK EAAP 2021): Der riesige Aufwand des OKs hat sich gelohnt – die Teilnehmenden konnten in Davos eine spannende und sichere Konferenz miterleben (Bild: Schweizer Bauer / Adrian Haldimann) v.l.n.r: Adrian Aebi, Stefan Probst, Andreas Hofer, Beat Bapst, Veronika Maurer, Léonie von Tavel, Lucas Casanova, Jessica Gearing
Bereits im Jahr 2015 startete das Schweizer Organisationskomitee mit den ersten Vorbereitungen für diese Konferenz – 2016 hat sich das Komitee für den Austragungsort Davos entschieden. Durch die Covid-19 Pandemie hat sich die Situation für die Organisatoren deutlich verkompliziert und es mussten zahlreiche zusätzliche Fragen gestellt und geklärt werden. Schliesslich wurde die Konferenz hybrid durchgeführt, also als Live-Veranstaltung, die mit digitalen Komponenten ergänzt wurde und auch virtuell besucht werden konnte. Von Montag bis Donnerstag wurden in rund 1000 Präsentationen Forschungsergebnisse und Entwicklungen im Bereich der Nutztierwissenschaften vorgestellt. Die Schweiz war mit einer stattlichen Delegation von knapp 200 Teilnehmenden und zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen prominent vertreten.
Genomik, Kommunikation und Effizienz
Die Plenarveranstaltung vom Dienstagvormittag widmete sich den Rollen der Nutztiere im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung. Als nachhaltig bezeichnet man eine Entwicklung, welche die gegenwärtigen Anforderungen erfüllt, ohne die Möglichkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, deren eigene Anforderungen zu erfüllen. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Adrian Aebi, Vizedirektor vom Bundesamt für Landwirtschaft. In seinem Referat präsentierte er einige Kennzahlen zu Land und Leuten und erläuterte die vielfältigen Anforderungen an die Landwirtschaft in der Schweiz. Anne Mottet von der FAO ging unter anderem der Frage nach, ob die Produktion von Tierfutter eine Konkurrenz zur Produktion von menschlicher Nahrung darstellt. Bis zu einem gewissen Grad trifft das wohl zu. Wenn allerdings berücksichtigt wird, dass Nutztiere für die menschliche Ernährung nutzlose Biomasse (z.B. Gras) in wertvolle Nahrungsmittel umwandeln können, und durch Kreislaufwirtschaft (Abbildung 1) die Effizienz des ganzen Sektors gesteigert werden kann, wird dieser Zielkonflikt zugunsten der Nutztiere entschärft.
Frédéric Leroy von der Universität Brüssel fokussierte sich auf die Bedeutung von tierischen Produkten in einer gesunden Ernährung. Dabei unterstrich er insbesondere die Bedeutung einer klaren und transparenten Information und Kommunikation. Unvollständig präsentierte Zusammenhänge und umgangssprachliche Formulierungen können zu falschen Schlussfolgerungen und trotz genügendem Nahrungsangebot zu Mangelernährung führen. Den Abschluss machte Jack Britt von der North Carolina State University (USA). Er sieht in der Milchproduktion im Hinblick auf die weiterwachsende Weltbevölkerung einen grossen Vorteil, da mit Milchprodukten auf Basis essenzieller Nährstoffe am meisten Menschen ernährt werden können. Auch er unterstreicht die Bedeutung einer Effizienzsteigerung, um einerseits mehr produzieren zu können und gleichzeitig den Ausstoss von Treibhausgasen pro kg Milch zu reduzieren. Britt ist überzeugt, dass mit besserer Genetik und mehr Effizienz die globale Erwärmung massgeblich beeinflusst werden kann. Das Mittel der Wahl zur Selektion der richtigen Jungtiere ist unbestritten die Genomik. Auch das Genome Editing kann helfen, dass die Kuh der Zukunft gesünder und fruchtbarer ist und die Umwelt weniger belastet.
Fülle an Themen
In 74 Sessionen wurden zu den verschiedensten Fragestellungen der Nutztierwissenschaften Beiträge präsentiert sowie Wissen und Erfahrungen ausgetauscht. Der Fülle und Bedeutung der einzelnen Themen mit einem kurzen Überblick gerecht zu werden, ist daher nicht möglich. Ein Schwerpunkt, der in den Plenarvorträgen aufgenommen und in verschiedenen Sessions weitergeführt wurde, ist die Zucht auf klimafreundlichere und effizientere Tiere. Im Vordergrund stehen dabei die beiden Schlagwörter Reduktion des Methanausstosses und Verbesserung der Futtereffizienz. Neben der Entwicklung von genetischen Auswertungen stellen bei diesen Merkmalen bereits die Definition und Erhebung der Phänotypen eine besondere Herausforderung dar.
Ein Thema, das ebenfalls immer wieder auftauchte, war der Hitzestress. Dabei ging es einerseits um die Auswirkungen auf die Fitness und das Wohlbefinden der Tiere, aber auch um genetische Aspekte. Cordula Kipp von der Universität Giessen präsentierte interessante Zusammenhänge zwischen Hitzestress in der späten Trächtigkeit einer Kuh und der Leistung der Nachkommen. Sie kam zum Schluss, dass Hitzestress während der Galtphase negative Auswirkungen auf zahlreiche Leistungs- und funktionelle Merkmale der Nachkommen haben kann (auch noch eine Generation später). Die genauen Mechanismen, die zu diesen Beobachtungen führen, sind noch wenig erforscht. Die wahrscheinlichste Erklärung sind sogenannte epigenetische Effekte. Vereinfacht gesagt, gilt die Epigenetik als Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen. Sie beschreibt jene Eigenschaften von Genen, die nicht durch die DNA selbst, sondern durch deren Ablesebereitschaft in Erscheinung treten.
Qualitas prominent vertreten
Das Zuchtwertschätzungsteam der Qualitas war sowohl wissenschaftlich als auch organisatorisch präsent in Davos. Als OK-Mitglied war Beat Bapst mitverantwortlich für das vielseitige Programm und die erfolgreiche Realisierung dieser Hybrid-Konferenz. Bei mehr als 12 Präsentationen und Postern waren Mitarbeitende der Qualitas als Haupt- oder Co-Autoren involviert. Urs Schuler stellte die konventionelle Zuchtwertschätzung für Ketoseresistenz vor. Sein Hauptaugenmerk lag auf der Definition und Evaluation von geeigneten Merkmalen zur Beschreibung der Ketose. Mirjam Spengeler und Adrien Butty präsentieren für die Merkmale Ketoseresistenz bei Rindern und Parasitenresistenz bei der Gemsfarbigen Gebirgsziege erste Arbeiten im Zusammenhang mit der Single Step Methode. Mehrere Präsentationen (Franz Seefried, Mirjam Spengeler und Uni Bern in Zusammenarbeit mit Qualitas) widmeten sich dem eigens für die Schweizer Population entwickelten Swiss Cow Chip und der Nutzung von genomischen Daten für die züchterische Verbesserung der Tiergesundheit. Last but not least wurden von Sophie Kunz und Jessica Gearing zwei Arbeiten aus dem Fleischsektor präsentiert (Zuchtwertschätzung und Schätzung von wirtschaftlichen Gewichten für Fleischmerkmale).
Bild 2 (Qualitas EAAP 2021): Das Zuchtwertschätzungsteam der Qualitas war sowohl wissenschaftlich als auch organisatorisch präsent in Davos. v.l.n.r. Franz Seefried, Jessica Deuber, Jürg Moll, Urs Schnyder, Jessica Gearing, Urs Schuler, Beat Bapst, Sophie Kunz, Adrien Butty, Patrick Stratz, Madeleine Berwerger.