Single Step – neues Verfahren in der genomischen Selektion

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Die genomische Selektion wird in der Schweiz seit über 10 Jahren angewendet. Sie hat zu tiefgreifenden Veränderungen in der Zucht und zu einem höheren Zuchtfortschritt geführt. Bald wird das mehrstufige Verfahren durch ein einstufiges Verfahren (Single-Step) abgelöst.

Im April 2011 wurden die ersten genomisch-optimierten Zuchtwerte (GOZW) veröffentlicht. Damals waren GOZW für Milchleistungsmerkmale, Zellzahl, Exterieur und wenige Fitnessmerkmale für die Populationen Braunvieh, Holstein und Swiss Fleckvieh auf der Basis traditioneller Zuchtwerte von genotypisierten und geprüften Stieren verfügbar. Heute werden GOZW für sechs Populationen (Brown Swiss, Original Braunvieh, Holstein, Fleckvieh, Simmental und Limousin) und 86 Merkmale geschätzt. Das mehrstufige Verfahren hat die genomische Selektion zu einer Erfolgsgeschichte gemacht, ist aber auch zum Opfer seines eigenen Erfolges geworden. 

Die Erfolge der genomischen Selektion

Die genomische Selektion hat sich im Laufe der Jahre als wichtiger Bestandteil der Schweizer Rinderzucht etabliert und ist nicht mehr wegzudenken. Der Anteil der Besamungen mit Jungstieren nimmt stetig zu und die noch vor wenigen Jahren bewährten geprüften Zweiteinsatzstiere gehören fast der Vergangenheit an. Die Preise für die genomische Selektion sind mit der stetig steigenden Anzahl an Genotypisierungen gesunken. Die Umstellung von einer monatlichen Veröffentlichung der GOZW für neu genotypisierte Tiere auf einen zweiwöchentlichen Rhythmus wurde Ende 2015 vollzogen. Dies hat dazu geführt, dass sich immer mehr Züchter für die datengestützten Zuchtprogramme ihrer Zuchtverbände entscheiden und alle ihre weiblichen Tiere genotypisieren lassen. Sie nutzen die sichereren GOZW, um ihre Zuchtentscheidungen besser treffen zu können. 

Das mehrstufige Verfahren stösst an seine Grenzen

Die Sommermonate sind generell schon heisser als die restliche Zeit des Jahres. Mit dem Klimawandel wird das Problem noch ausgeprägter, weil die Temperaturen im Durchschnitt steigen. Schauen wir etwas mehr als 15 Jahre zurück und betrachten beispielsweise die nächste offizielle Meteostation für Zug in Luzern, ist generell für das ganze Jahr, aber auch für den Sommer, ein Aufwärtstrend nicht zu übersehen (Abbildung 1). Des Weiteren fallen auch immer mehr Temperatur- und Wetterschwankungen an. Aus diesen Tatsachen lässt sich ableiten, dass unsere Milchkühe immer öfters Hitzesituationen ausgesetzt sind. Es kommt hinzu, dass die Produktionsleistungen in den letzten Jahren gestiegen sind. Die dadurch erhöhten  Stoffwechselleistungen gehen einher mit der Produktion von mehr Körperwärme. Weiter haben Alter und natürlich Trächtigkeitsstadium auch einen Einfluss auf die Stoffwechselleistungen.

Abbildung 1. Während im Jahr 2016 etwa 50% der Schweizer Genotypen von männlichen Tieren stammten, sind es heute nur noch 22%.

Grössere Datensätze bedeuten grössere Herausforderungen

Das Projektteam der Qualitas AG arbeitet seit Anfang 2020 mit erhöhter Priorität an der Entwicklung des Single-Step Verfahrens für die Schweizer Rinderzucht, wobei erste Arbeiten bereits ab dem Jahr 2018 durchgeführt wurden. Die Umstellung auf das Single-Step Verfahren bedeutet eine komplette Neuorganisation der Routineabläufe und kommt daher trotz der grossen Bedeutung nur Schritt für Schritt voran. Beispiele für diese Herausforderungen sind effiziente Auswertungsmodelle und Softwareprogramme, die an die Rechnerstruktur der Qualitas AG angepasst sind, automatisierte Prozesse für die zweiwöchige Berechnung von GOZW für neu typisierte Tiere, die Integration von internationalen Informationsquellen wie Interbull ZW und die Sicherstellung, dass sich Single-Step ZW (ssZW) über die Zeit nur aufgrund neuer Datengrundlagen verändern. Zu diesen Herausforderungen kommen notwendige Anpassungen der bisherigen traditionellen Auswertungen, die in Zeiten von Single-Step nicht mehr zeitgemäss sind. Dazu steht das Projektteam seit 2021 in regelmäßigem Austausch mit dem Single-Step Forschungsteam von LUKE, dem Pendant zu Agroscope in Finnland und der weltweit führenden Institution in der Entwicklung von Single-Step Methoden. Diese Zusammenarbeit ermöglicht Qualitas AG den Zugang zu den neuesten Entwicklungen. Die ersten ssZW wurden im April dieses Jahres an die Zuchtverbände verteilt und das Endziel des Projekts ist die Umstellung aller genomischen Auswertungen auf Single-Step in den kommenden Jahren. Die Einführung von Single-Step wird Merkmal für Merkmal erfolgen. 

Ergebnisse der Entwicklungsarbeiten für Aufzuchtverluste

Abbildung 2. Zuchtwertkorrelationen und Zuwachs der Bestimmheitsmasse für das Hauptmerkmal des Index Aufzuchtverlust zwischen traditionellen und Single-Step Auswertungen.

Für diese Belastungssituationen ist nicht alleine die Umgebungstemperatur verantwortlich, die Luftfeuchtigkeit spielt ebenfalls mit. Um beide Faktoren gleichzeitig berücksichtigen zu können, werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit in einen Index umgerechnet. Dieser nennt sich THI (Temperature-Humidity-Index). In der Literatur existieren verschiedenste Berechnungsformeln dafür. In den vorliegenden Berechnungen wurde eine THI-Anwendung (NRC, 1971) gewählt, die oft für genetische Auswertungen verwendet wird. Das Zusammenspiel von Temperatur und Luftfeuchtigkeit und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den THI bzw. auf die Kuh sind in Abbildung 2 ersichtlich.

Die Verfahren der genomischen Selektion kurz erklärt

Die heutige genomische Selektion erfolgt in vier Schritten (Abbildung 3):  

  1. Traditionelle Zuchtwerte (ZW) werden anhand von Phänotypen und Abstammung geschätzt. 
  2. Die traditionellen ZW werden auf die phänotypische Skala zurückgeführt. Dieser Schritt wird «Deregression» genannt und mit den Genotypen der Referenzstiere (meist geprüfte Stiere) ausgewertet. Auf diese Weise werden die Effekte bestimmter Genomlokationen auf die Merkmale geschätzt. 
  3. Diese Effekte werden auf alle vorhandenen Genotypen übertragen und es werden direkt genomische ZW (DGZW) geschätzt. 
  4. Die DGZW werden mit den traditionellen ZW gemischt. Daraus werden die genomisch optimierten ZW (GOZW) berechnet. 

Das Single-Step Verfahren integriert die Informationen der Genotypen direkt in das Schätzsystem, das bisher für die traditionellen ZW verwendet wurde. 

Abbildung 3. Die vier Schritte der heutigen genomischen Selektion