Schädigen die Nutztiere unsere Umwelt?

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Die Schweizerische Vereinigung für Tierwissenschaften (SVT) nahm sich an der diesjährigen Frühjahrstagung obiger Fragestellung an. Um das Thema aus wissenschaftlicher Sicht zu beleuchten, wurden renommierte Wissenschaftler aus Nordamerika, Europa und der Schweiz eingeladen.

Dass das Thema brandaktuell ist, oft aber durch reisserische Schlagzeilen verzerrt wird, zeigte sich am grossen Interesse an der Tagung: Gegen 200 Personen kamen an die HAFL nach Zollikofen, um die neuesten Erkenntnisse aus der Sicht der Wissenschaft zu erfahren.

Podiumsdiskussion mit Frank Mitloehner, Jean-Louis Peyraud und Stefan Hörtenhuber (Bild: Leonie Hart, Schweizer Bauer)

Nutztiere sind wichtig

Jean-Louis Peyraud, von der INRAE aus Frankreich (staatliche Forschungsanstalt), zeigte mit deutlichen Worten, dass die Nutztierhaltung für 14.5% der weltweiten Treibausgasemissionen verantwortlich ist, dass für die Produktion von tierischen Erzeugnissen erhebliche Ressourcen gebraucht werden und dafür Wälder abgeholzt werden müssen und dass die biologische Vielfalt am Leiden ist.

Der hochkarätige Wissenschafter unterstrich gleichzeitig, ohne Nutztiere geht es nicht: Der weltweite Eiweissbedarf für die menschliche Ernährung könne ohne Nutztiere nicht gedeckt werden und im landwirtschaftlichen Kreislaufsystem nehmen Nutztiere eine zentrale Rolle ein. Als Beispiel sei hier einmal mehr die Fähigkeit der Wiederkäuer erwähnt, Wiesenfutter in Milch und Fleisch umzuwandeln.

Sie verursachen Emissionen und verbrauchen Ressourcen auch während ihrer unproduktiven Lebensabschnitte – wie zum Beispiel der Aufzucht. Die Leistungen müssen darum gut sein, damit diese Zeiten kompensiert werden können. Dass dabei das klimaschädigende Gas Methan (CH4) entsteht, macht das Dilemma und die Komplexität des Themas deutlich. Durch die Abnahme des Grünlandanteils leidet die Biodiversität und mehr Kohlendioxid (CO2) gelangt in die Atmosphäre, wie Peyraud ergänzend aufzeigte.

Heute wird umweltfreundlicher produziert

Frank Mitloehner (Universität Davis, Kalifornien) legte dar, dass CH4 viel schneller als CO2 in der Atmosphäre umgesetzt werden kann und so wieder über die Pflanzen im Nährstoffkreislauf rezykliert wird. Beim CO2 hingegen passiere der Ab- und Umbauprozess 100-mal langsamer. Es sammelt sich in der Atmosphäre an. Darum sei es bezüglich Klimaerwärmung problematischer, auch wenn CH4 das grössere Erwärmungspotential besitzt. Eine Reduktion des CH4-Ausstosses könne darum relativ schnell einer Erwärmung entgegenwirken.

Eine Effizienzsteigerung in der Produktion, beispielsweise höhere Milchleistungen durch züchterische Bemühungen, könne die Emissionen drastisch verringern: In den letzten 70 Jahren hat sich der Milchkuhbestand in den USA von 25 Millionen auf 9 Millionen verringert, die Produktion wurde gleichzeitig um 60% gesteigert. Dies hat den Kohlenstoff-Fussabdruck von einem Glas Milch um zwei Drittel verringert. Beim Fleisch sieht es ähnlich aus: 1970 und 2010 wurde in den USA gleichviel Rindfleisch produziert; 1970 mit 140. Mio. Rindern, 2010 mit 90 Mio. In diesen Betrachtungen sind Futterzukäufe oder der Arzneimitteleinsatz wohl kaum berücksichtigt.

Werden aber viele für die menschliche Ernährung ungeeignete Nebenprodukte verfüttert, zum Beispiel aus der Baumwollproduktion in Kalifornien, dann ist eine Leistungssteigerung sinnvoll. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, wie eine globale Beurteilung und Systemabgrenzungen schwierig sind und dass differenzierte Lösungsfindungen gefragt sind.

Die Ansammlung von CO2 in der Atmosphäre wird stark durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht, wie Mitloehner weiter ausführte. Darum müssten auch Lösungen ausserhalb der Landwirtschaft gesucht werden: Der Verzicht auf eine Flugreise könne effektiver sein, als der Verzicht auf tierische Produkte in der Ernährung. Dazu nannte der Professor aus Kalifornien folgendes Beispiel: Ein Jahr lang vegan leben, spart den halben CO2-Ausstoss eines Fluges über den Atlantik.

1/4 der Nahrungsmittel kommen nicht auf den Teller

Im dritten Vortrag am Morgen erweiterte Stefan Hörtenhuber von der Universität für Bodenkultur in Wien, die Sichtweisen noch mehr. Er argumentierte, dass zusätzlich auch Tierwohl und -gesundheit, die Biodiversität der Landschaft oder die Art und Weise der Wertschöpfungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Vor allem auch darum, weil in vielen Regionen Europas die Tierhaltung praktisch die einzige Einkommensquelle für die Landwirtschaft sei und diese das Landschaftsbild positiv präge.

In der nachfolgenden Diskussion waren sich alle Referenten einig, die Nutztierhaltung kann nicht durch die pflanzliche Produktion ersetzt werden . Die beiden Sektoren sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sie müssen sich im landwirtschaftlichen Produktionssystem optimal ergänzen. Ebenso sei eine Reduktion der Tierzahlen nicht die Lösung, da die Nachfrage nach tierischen Produkten nicht am Sinken sei.

Zusätzlich sei in gewissen Regionen, zum Beispiel im Alpenraum, nur Nutztierhaltung möglich, welche das Landschaftsbild stark positiv prägt. Das Miteinander sei wichtig und abhängig vom Standort und der optimalen Wirtschaftsweise müsse dieses Zusammenspiel optimiert werden, um die negativen Umweltwirkungen der Tierhaltung zu minimieren. Zusätzlich müssen die nachgelagerten Bereiche, bis hin zu den Konsumenten, in die Verantwortung genommen werden: 25% der produzierten Nahrungsmittel gelangen nicht in die menschliche Ernährung und können unter dem sogenannten «Food-Waste» abgebucht werden. Ein riesiges Potential bezüglich Effizienzsteigerung!

Zucht und Fütterung

Fredy Schori von Agroscope unterstrich, dass die vom Bund definierten Absenkpfade für Stickstoff bis anhin nicht eingehalten werden konnten; weitere Anstrengungen seien notwendig. Die Schweiz importiert sehr viel proteinreiche Futtermittel. Um diese Menge in der Schweiz anzubauen, müsste mehr als die Hälfte der offenen Ackerfläche mit Soja angebaut werden. Die effektive Eiweiss-Effizienz kann bei Rindern auf verschiedene Arten geschätzt werden. Schori meint, das grösste Potential, um die Effizienz zu steigern, liege in der Zufuhr wie auch in der Rationenzusammensetzung,  beziehungsweise darin, die Ausscheidungen zu verringern.

Wie Chris Baes von der Universität Guelph (Kanada) und Bern aufzeigte, kann Emissionsminderung und Effizienzsteigerung bei den Milchkühen auch über züchterische Massnahmen erreicht werden. In Kanada werden seit April 2021 Zuchtwerte für CH4-Ausstoss und Futtereffizienz geschätzt. Die Heritabilität für das erste Merkmal liegt im Bereich der Produktionsmerkmale (0.3 -0.4), das zweite im Bereich von funktionellen Merkmalen (~0.15). Die Erhebung dieser Phänotypen ist aber sehr aufwändig und es braucht viele Messpunkte. Durch internationale Zusammenarbeit, an der auch die Schweiz beteiligt ist, konnte ein genügend grosses Datenset erstellt werden. Ein weiterer Ausbau dieses internationalen Datenpools sei aber notwendig, um zukünftige züchterische Fortschritte zu erzielen.

Verschiedene Strategien sind gefragt

Daniel Bretscher (Agroscope) unterstrich in seinem Referat, dass ca. ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der Schweiz durch die Landwirtschaft verursacht wird. Es müssen verschiedene Verminderungs-Strategien verfolgt werden, wie er weiter ausführt. Diese sehen im Ackerbaugebiet oder in der Berglandwirtschaft nicht gleich aus. Mögliche Strategien für die Produktion sind in der Abbildung von Peyraud zu finden (Abbildung1 ).

Effizienz der Tiere (CH4) Tier

(Genetik)

Tiere mit niedrigem Ausstoss

Robustere Tiere

Fütterung Verwendung von Futtermittelzusatzstoffen

Erhöhung der Futterqualität

Herden-

management

Fleisch aus Milch

Alter bei der Schlachtung

Kreislaufwirtschaft

(CH4, N2O)

Futtermittelproduktion N-bindende Pflanzen verwenden

Verwendung von Zweinutzungskulturen

Kritische Futtermittel vermeiden

Hofdünger Hofdüngermanagement

Energieerzeugung auf dem Hof

C-Sequestrierung
(Bindung von Kohlenstoff)
Grünland, Agroforstwirtschaft

Abbildung 1: Optionen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen von J.L. Peyraud (nach Gerber et al., 2013)

Alle Referenten sind sich einig: es müssen alle möglichen Strategien verfolgt werden, damit Emissionsminderungen wirkungsvoll realisiert werden können. Bezüglich Effizienz unterstreicht Bretscher noch einmal, dass ein grosses Potential beim «Food-Waste» liege und dass diesbezüglich entlang der ganzen Wertschöpfungskette Massnahmen getroffen werden können.

Die vielen interessanten Referate zeigten die Komplexität des Themas und dass nicht nur die Landwirtschaft, sondern alle gefragt sind und alle am gleichen Strick ziehen müssen.

Zum Abschluss wies Peter Spring, HAFL, zum Thema Ressourceneffizienz auf zwei wichtige Punkte hin: Phasenfütterung beim Schwein bringt eine grosse Effizienzsteigerung. Und die Landwirtschaft hat ein grosses Potential, um energieautark zu werden, da die Energiequellen direkt auf den Höfen vorhanden seien.