Kurs Zuchtwertschätzung: Einführung in die Grundlagen

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Die Qualitas AG führte im November am LBBZ Schluechthof einen Kurs für Mitarbeitende von Zucht- und KB-Organisationen durch. Der Kurs beinhaltete einen Überblick über die Grundlagen der Zuchtwertschätzung (ZWS) sowie eine Übersicht über abgeschlossene und momentan laufende Projekte.

Vor Beginn des Kurses erfolgte eine stichprobenartige Befragung nach den Wünschen der Kursteilnehmer/-innen. Es bestand auch die Möglichkeit, Fra-gen zu den Kursthemen per E-Mail an die Organisatoren zu schicken. Beide Informationsquellen nutzten die Referenten bei der Vorbereitung der Kurs-materialien, um auf die Bedürfnisse der Teilnehmer besser eingehen zu können. Ein Feedback konnte direkt am Ende des Kurstages oder per Evaluationsbogen im Internet gegeben werden. Basierend darauf wird beraten, mit welcher inhaltlichen Ausrichtung eine mögliche Folgeveranstaltung stattfindet.

In seiner Begrüssung und Einführung in den Kurs wies Jürg Moll, Geschäftsführer der Qualitas AG, auf die interdisziplinäre Bedeutung der Tierzucht hin. Nachfolgend vertieften die Referenten die Disziplinen, mit denen sich die Tierzucht beschäftigt.

GENETIK

Im Bereich Genetik erklärte Patrick Stratz die Funktionen der Erbinformation: Merkmalsausprägung auf der einen und Vererbung auf der anderen Seite. Im Zusammenhang mit der Vererbung ging er auf die Entstehung von genetischer Variation, durch die Geschlechtszellenbildung und die Verschmelzung der Geschlechtszellen, ein und erarbeitete, warum der wahre Zuchtwert eines Stieres immer unbekannt bleibt. Ausgehend von der Verteilung der Erbinformation an die Nachkommen leitete der Referent deren verwandtschaftliche Beziehungen ab, die Anwendung bei der Aufklärung von Erbfehlern finden, aber auch für komplexere Merkmale in Zuchtwertschätzungsmodellen genutzt werden. In diesem Zusammenhang erfolgte eine Einführung in das Tiermodell, das gleichzeitig den Effekt des Tieres (Zuchtwert), basierend auf der Verwandtschaft; sowie den Effekt der Umwelt schätzt und in der klassischen Zuchtwertschätzung Anwendung findet. Dabei wird der Zuchtwert eines Stieres umso genauer geschätzt, je mehr Information von Nachkommen zur Verfügung steht.

EINFÜHRUNG STATISTIK

Die Statistik ist eine wichtige Hilfsdisziplin der Tierzucht. Gleich zu Beginn der Präsentation erläuterte Peter von Rohr die Bedeutung des Begriffs „Statistik“: Statistik beschäftigt sich als wissenschaftliche Disziplin mit der Erfassung, Beschreibung und Analyse von Daten. Für die Tierzucht sind insbesondere die Methoden zur Schätzung von unbekannten Grössen, wie zum Beispiel von Zuchtwerten aufgrund von beobachteten oder gemessenen Informationen, relevant. Das allgemeine Prinzip der Schätzung von unbekannten Grössen erläuterte der Referent an einfachen Beispielen. Ein klassisches Schulbuchbeispiel für die Schätzung von unbekannten Grössen ist die Bestimmung des Lebendgewichts von Masttieren aufgrund des Brustumfangs (Abbildung 1).

Abbildung 1: Schätzung Lebendgewicht aus Brustumfang. Erläuterung: Als Voraussetzung für die Schätzung wird vorgängig ein Datensatz mit bekann-tem Brustumfang und Lebendgewicht am gleichen Tier benötigt (A). Aufgrund dieses Datensatzes wird das statistische Modell (rote Linie im Diagramm) so geschätzt, dass die Distanz zwischen den Punkten und der roten Linie möglichst klein ist (B). Das so bestimmte statistische Modell kann dann zur Schätzung des Lebendgewichts aufgrund des Brustumfangs mit einem Viehmessband (C) verwendet werden.

Als zweites Beispiel wurde die Gesichtserkennung aufgrund von verschiedenen öffentlich verfügbaren Informationsquellen beschrieben. Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass auch unbekannte Grössen mit einer komplexen Struktur aus verfügbaren Informationen geschätzt werden können. Beim dritten Beispiel, dem EU Interreg-Projekt SESAM, verdeutlichte der Referent, dass aus einer Menge von aufgezeichneten Sensoraktivitätsdaten sinnvolle Vorhersagen von Gesundheits- und Fruchtbarkeitsmerkmalen gemacht werden können. Anhand der drei gezeigten Beispiele sollte das allgemeine Prinzip der Schätzung von unbekannten Grössen aufgrund von verfügbaren Informationen demonstriert werden. Dieses Prinzip wurde dann auf die Zuchtwertschätzung übertragen, wobei die unbekannten Grössen den Zuchtwerten entsprechen und die verfügbaren Informationen aus allen verfügbaren phänotypischen Leistungen bestehen, den Verwandtschaftsbeziehungen in einer Population und den verfügbaren Genotypen.

GENOMISCHE SELEKTION

Die genomische Selektion ist mittlerweile ein wichtiges Hilfsmittel in der Zucht. Sie ist bei der Auswahl von Selektionskandidaten von entscheidender Bedeutung. In diesem Teil des Kurses gingen Mirjam Spengeler und Adrien Butty auf die Hintergründe der genomischen Selektion ein. Am Beispiel eines einzelnen Tieres erklärten sie den Ablauf der genomischen Selektion – von der Beschaffung des genetischen Materials über das Imputing (statistisches Verfahren zur Hochrechnung eines Genotyps von einer geringeren zu einer höheren Dichte) bis hin zum genomischen Zuchtwert. Weiter zeigten Sie, weshalb eine Referenzpopulation benötigt wird, welche im aktuellen Multi-Step-Verfahren limitierend ist. Als kleiner Blick in die Zukunft erklärte Adrien Butty das Single-Step-Verfahren. Bei diesem Verfahren können sämtliche Informationen eines Tieres genutzt werden. Insbesondere können die Genotypen aller Tiere, und nicht nur diejenigen einer Referenzpopulation, berücksichtigt werden.

ZUCHTZIEL UND -PLANUNG

Das Thema des Kurses war klar die Zuchtwertschätzung. Im letzten Teil des Kurses ging es darum, die Zuchtwertschätzung thematisch in einen grösseren Kontext zu setzen. Der Kontext wurde durch die Komponenten eines Zuchtprogramms, wie sie in Abbildung 2 gezeigt sind, charakterisiert. Aus der Darstellung in Abbildung 2 wird klar, dass dem Zuchtziel eine zentrale Rolle zukommt. Die exakte Definition eines Zuchtziels auf wissenschaftlicher Basis und dessen Umsetzung über den Gesamtzuchtwert ist enorm wichtig für den Erfolg eines Zuchtprogramms.

Abbildung 2: Komponenten eines Zuchtprogramms

Die Zuchtplanung ist von grosser Bedeutung, um einerseits Zuchtfortschritt zu erreichen und andererseits die Paarung verwandter Individuen zu vermeiden. Letzteres führt in geschlossenen Populationen unweigerlich zu einer Reduktion an genetischer Varianz und zu einer Anreicherung von Erbfehlern. Dabei ging Franz Seefried auf den Zusammenhang zwischen steigender Selektionsintensität und Steigerung des Zuchtfortschritts sowie die Abnahme der genetischen Varianz, insbesondere durch den Einbezug der genomischen Selektion, ein. Das Ziel ist es, den Zuchtfortschritt zu maximieren, unter Limitierung der Verwandtschaft der selektierten Tiere. Geeignete Software soll dabei helfen, Selektionsentscheide zu optimieren.