Erste genetische Ursachen für Mehrlingsgeburten sind entschlüsselt

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Zwillings- und Mehrlingsgeburten – was sind die genetischen Ursachen und kann man dagegen züchten? Diese Fragen wurden erstmals mit Daten der Schweizer Milchviehrassen untersucht. Verantwortliche Genorte konnten dabei sowohl für Brown Swiss und Original Braunvieh als auch für Holstein identifiziert werden. 

Zwillings- und Mehrlingsgeburten treten bei den Schweizer Milchviehrassen Holstein und Simmental in rund 3.6% und beim Braunvieh in knapp 8 % aller Geburten auf. Beeinflusst werden sie unter anderem durch das Alter der Kuh, die Jahreszeit, die Anzahl benötigter Besamungen bis zur Trächtigkeit sowie die Verwendung von gesextem Sperma. Jedoch sind sie grösstenteils unerwünscht, weil mit ihnen ein höheres Risiko für gesundheitliche Probleme für Kuh und Kälber einhergeht.

Anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen konnte schon länger gezeigt werden, dass die Kälber aus Mehrlingsgeburten schwächer sind und ein erhöhtes Risiko für Mangelerscheinungen haben. Bei der Kuh treten fehlbares Nachgeburtsverhalten sowie Ketose und andere metabolische Krankheiten erhöht auf. Aus diesem Grund wurden die genetischen Ursachen für Mehrlingsgeburten genauer untersucht, um in Zukunft auch züchterisch die Rate an Mehrlingsgeburten verringern zu können.

Direkter und maternaler Effekt – wo liegt der Unterschied?

Für die Zuchtwertschätzung und somit für die nachfolgenden Untersuchungen wurde ein Modell mit direktem und maternalem genetischen Effekt verwendet. Der direkte Effekt beschreibt den Einfluss des Tieres selbst, das heisst in diesem Fall des Kalbes. Der maternale Effekt erklärt den Einfluss der Kuh. Dieser ist viel grösser als der direkte Effekt. Das ist zu erwarten, denn 90 – 95% der Zwillinge sind zweieiig und entstehen durch die gleichzeitige Reifung und Befruchtung von zwei Eizellen. Die Erblichkeit beträgt rund 4% bei der maternalen Komponente. Beim direkten Merkmal ist sie vernachlässigbar. Aus diesem Grund beziehen sich alle nachfolgenden Ergebnisse auf das maternale Merkmal.

Verantwortliche Genorte

Abbildung 1: Resultate der zwei Genomweiten Assoziationsstudien bei Holstein (a: Einzel-SNP Regressionsanalyse, b: fenster-basierte Bayes B Analyse)
Abbildung 2: Resultate der genomweiten Assoziationsstudien bei (a) Original Braunvieh und (b) Brown Swiss. Für beide Zuchtrichtungen ist ein signifikantes Fenster zu beobachten, welches mehr als 4 % der genetischen Varianz erklärt.

Zur Analyse wurden sogenannte deregressierte Zuchtwerte verwendet, die zusätzlich auf Grund ihrer Sicherheit und der Informationen von verwandten Tieren korrigiert wurden. Ziel war es, Hauptgene zu finden, welche das Merkmal Mehrlingsgeburten stark beeinflussen. Mit Hilfe von zwei verschiedenen Genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) konnte bei Holstein (Red-Holstein und Holstein zusammen) eine Genregion auf Chromosom 11 mit grossem Einfluss auf die Mehrlingsgeburten identifiziert werden (siehe Abbildung 1). Rund 16% der genetischen Varianz wird durch diesen Ort bestimmt. Das ist ein hoher Wert für einen polygenes Merkmal, das durch viele verschiedene Gene und Genregionen beeinflusst wird. Interessanterweise liegen in dem identifizierten Bereich nur zwei Gene: LHCGR und FSHR, die für die Ausbildung von zwei Rezeptoren von drei wichtigen Fortpflanzungshormonen verantwortlich sind. Somit ist ein klarer Zusammenhang mit der Fertilität gegeben. 

Mit Hilfe der GWAS konnte für Original Braunvieh eine andere Genregion auf Chromosom 11 mit grossem Einfluss auf die Mehrlingsgeburten identifiziert werden (siehe Abbildung 2a). Rund 6% der genetischen Varianz wird durch diesen Ort bestimmt.. Für die Zuchtrichtung Brown Swiss wurde ein anderer Genort auf Chromosom 15 entdeckt (siehe Abbildung 2b), welcher rund 4% der genetischen Varianz erklärt.  

Anschliessend wurden die Signale genauer analysiert und feinkartiert. Einerseits konnte jeweils für Holstein und Original Braunvieh ein gekoppelter Haplotyp mit negativem Effekt identifiziert werden. Das heisst, dass Träger dieses Segments (Haplotyp) in mischerbiger Form eine tiefere Wahrscheinlichkeit haben, Mehrlinge zu gebären. In reinerbiger Form haben die Tiere eine noch tiefere Wahrscheinlichkeit. Das gegenteilige Phänomen konnte bei Brown Swiss beobachtet werden. Der gekoppelte Haplotyp hatte einen positiven Effekt auf die Mehrlingsgeburtenrate. In einem weiteren Schritt wurde bei Holstein eine Kandidatenvariante im Genom entdeckt, welche einen regulatorischen Einfluss auf das LHCGR Gen hat. 

Was lernen wir daraus?

Die Erblichkeit des Merkmals Mehrlingsgeburten ist tief. Eine Selektion dagegen ist dennoch möglich. Dabei muss aber der Einfluss auf die weiteren Fruchtbarkeitsmerkmale beobachtet werden. Erste verantwortliche Genorte für Mehrlingsgeburten konnten identifiziert werden. Interessanterweise sind die genetischen Ursachen und somit die verantwortlichen Gene rassenspezifisch. In Zukunft braucht es weitere Untersuchungen und vor allem mehr Daten, um die Gesamtheit der genetischen Ursachen dieses komplexen polygenen Merkmals zu entschlüsseln.