Auf der Suche nach gesunden Kühen

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Die Idealkuh – ist unsichtbar

Gefragt nach ihrer Idealkuh, ist von Milchproduzenten oft zu hören, dass dies die “unsichtbare Kuh” sei. Unsichtbar im Sinne von fruchtbar, kerngesund, problemlos zu melken, ruhig im Verhalten und mit einer ansprechenden Milchleistung.

Um längerfristig mehr dieser Idealkühe im Stall oder auf der Weide stehen zu haben, ist Zucht das Mittel der Wahl. So sind es auch die Fruchtbarkeit und die Gesundheit die in den vergangenen Jahren stärker in den Fokus züchterischer Arbeit getreten sind. In der Schweizer Milchviehzucht ist die neuste Errungenschaft in diesem Bereich die Zuchtwertschätzung (ZWS) für das Merkmal Mastitisresistenz. Diese ZWS haben wir bei der Qualitas in den Jahren 2017 und 2018 entwickelt.

Warum Mastitisresistenz?

Abbildung 1: Anzahl Diagnosen nach Jahren für verschiedene Krankheiten

Mastitis, also eine Euterentzündung, ist eine bedeutende Krankheit in der Milchproduktion. Um unsere Kühe widerstandsfähiger gegen diese Krankheit zu machen, wird seit Jahren auf das Merkmal Zellzahl gezüchtet. Seit 2013 steht mit der Gesundheitsdatenerfassung (GDE) eine weitere Datenquelle zur Verfügung. Bei der GDE können Milchproduzenten Diagnosen über die Webportale der Zuchtverbände (BrunaNet, Holstein-Vision und redonline) melden.

In Abbildung 1 sind die fünf häufigsten, über die GDE gemeldeten Krankheiten für mehrere Jahre dargestellt. Klar ersichtlich ist, dass Mastitis die mit Abstand häufigste Krankheit beim Milchvieh ist. Es war daher naheliegend, vor allen anderen möglichen Gesundheitsmerkmalen die Entwicklungsarbeiten für die ZWS Mastitisresistenz in Angriff zu nehmen.

Die gesunde Kuh – ist auch unsichtbar

Um mit den Daten aus der GDE eine ZWS durchführen zu können, mussten wir diese in eine statistisch auswertbare Form überführen. Dabei haben wir Mastitis definiert als: „Die Kuh ist im Zeitraum 10 Tage vor bis 150 Tage nach einer Abkalbung mindestens ein Mal an einer Mastitis akut, chronisch-klinisch oder subklinisch erkrankt oder nicht“.

Bei dieser Überführung hatten wir Bekanntschaft mit einer anderen Art „unsichtbarer Kühe“ gemacht. Dabei handelt es sich nicht wie zuvor um Kühe, die für den Bauer unsichtbar sind, weil sie völlig problemlos in der Haltung sind. Sondern um Kühe, die für uns Genetiker unsichtbar sind, weil sie gesund blieben und daher nicht in den Diagnosedaten vorkommen. Diese Datenstruktur stellte uns vor ein Problem: Woher kriegen wir die Information, welche Kühe gesund blieben? Die Lösung war: Aus den Standortdaten.

Standortdaten

Standortdaten geben uns darüber Auskunft wann welche Kuh wo gewesen ist. Zu jeder Kuh in einem Herdebuchbetriebe ist diese Information auf den Datenbanken der Zuchtverbände gespeichert. Im Wesentlichen basieren diese Daten auf den Bewegungsmeldungen der Tierhalter an die Tierverkehrsdatenbank (TVD). Sie werden zusätzlich mit Informationen aus der Milchleistungsprüfung verbessert.

Für die neue ZWS Mastitisresistenz verwenden wir die Standortinformationen derjenigen Tiere, die mindestens ein Mal in ihrem Leben auf einem Betrieb gestanden sind, der an der GDE teilnimmt. Ausgehend von diesem Datensatz konnten wir dann die gesunden Tiere zu den kranken ergänzen.

Genetisches Modell

Wir wussten nun welche Kühe in welchen Laktationen an Mastitis erkrankt waren oder eben nicht. Der nächste Schritt bestand darin, diese Beobachtungen mit einem statistisch-genetischen Modell zu erklären. Die folgenden erklärenden Grössen sind im gewählten Modell enthalten:

  • Interaktion zwischen Kalbejahr und Kalbemonat
  • Interaktion zwischen Kalbealter und Laktationsnummer
  • Heterosis (nur gemeinsame ZWS von Holstein Switzerland und swissherdbook)
  • Rekombinationsverlust (nur gemeinsame ZWS von Holstein Switzerland und swissherdbook)
  • Interaktion zwischen Betrieb und Kalbejahr
  • Permanente Umwelt
  • Additiv genetischer Effekt des Tieres (auch Zuchtwert genannt)
  • Rest

Um Zuchtwerte mit diesem Modell zu schätzen, mussten wir die Varianzen gewisser erklärender Grössen vorab schätzen. Dieser Prozess heisst Varianzkomponentenschätzung und wurde mit der Software VCE gemacht. Für die ZWS Mastitisresistenz verwenden wir routinemässig das Softwarepaket MiX99.

Heritabilitäten

Das interessanteste Ergebnis aus einer Varianzkomponentenschätzung ist die Heritabilität. Diese Zahl beschreibt den Anteil an der gesamten Variabilität eines Merkmals in einer Population, der durch die Gene bestimmt ist. Dieser Wert liegt bei Braunvieh (inkl. Original Braunvieh und Brown Swiss) bei 2.4% und in der vereinigten Population der von Holstein Switzerland und swissherdbook betreuten Rassen , also hauptsächlich Holstein, Swiss Fleckvieh und Simmental, bei 3.2%.

Diese Heritabilitäten sind tief. Zucht auf diese Merkmale kann aber trotzdem Früchte tragen, wenn sie genügend stark in den Zuchtzielen berücksichtigt werden.

Daten für effiziente Zucht zentral

Vermutlich wird die Erfassung der Gesundheitsdaten von den Züchtern oft als administrative Bürde aufgefasst. Diese Vermutung legt die tiefe Beteiligung an der GDE nahe. Zudem spielt wohl auch ein gewisses Misstrauen eine Rolle. Mit Krankheitsfällen und Medikamentenverbrauchen werden ja auch sensible Informationen über die GDE erfasst. Um jedoch bei Merkmalen aus den Bereichen Fruchtbarkeit und Gesundheit künftig züchterisch erfolgreicher zu sein, sind Diagnosedaten ein wichtiger Eckpfeiler. Die ZWS Mastitisresistenz zeigt aber auch, dass eher banale Daten wie die Standorte der Kühe wichtige züchterisch verwendbare Informationen sind.

Zusammenfassend halten wir fest, dass vollständig erfasste Daten die Grundlage für effiziente Zuchtarbeit sind. Daraus können wir viel aus den Genen unserer Zuchttiere sichtbar machen. Denn bei diesem Punkt ist nicht Unsichtbarkeit sondern Sichtbarkeit gewünscht.